(Ein Impuls zur Jahreslosung* 2025: »Prüft alles und behaltet das Gute!«
Ich war 15 und mit dem Rad unterwegs. Es war Winter. Als ich an der Schule ankam, waren meine Finger total klamm und schon etwas blau. Die Handschuhe steckten in meiner Jackentasche. Warum hatte ich sie beim Radfahren nicht angezogen? Aus Trotz! Denn als Teenager nervten mich manchmal die Ermahnungen meiner Mutter beim Abschied: »Setz eine Mtze auf! Zieh Handschuhe an! Es ist kalt. Und fahr vorsichtig!« Alles gut gemeinte Ratschläge, aber sie gingen mir bisweilen einfach auf den Geist.
Ist die Jahreslosung* (Erläuterung s.u. *) auch nervig? »Prüft alles!« – eine Aufforderung, die sehr direktiv ist! Und: »alles«? Hört sich anstrengend an. Mich schon beim Einkaufen fragen: Ist das hier nachhaltig, saisonal und regional? Wurde es fair produziert? Wenn ich »alles überprüfe«, dauert der Einkauf ziemlich lange. Oder: Dieser Ausdruck, den ein Politiker vorhin benutzte – ist der noch patriotisch oder schon rechtsradikal?
Will uns die Jahreslosung etwa zu ständiger Wachsamkeit auffordern? Nimm nichts als selbstverständlich hin! Überprüf alle Lebensbereiche jeden Tag neu auf »das Gute« hin! Dieser Aufruf steht in der Bibel, im ersten Thessalonicher-Brief, dort in einer langen Liste von Abschieds-Ermahnungen. Das war damals, als Paulus den Brief schrieb, im 1. Jahrhundert nach Christus, sehr üblich: Im Brief-Schluss noch so viele gute Tipps wie möglich unterzubringen. Paulus macht das in vielen seiner Schreiben so. Ich hab mir einige dieser Ermahnungs-Listen in der Bibel, im Neuen Testament, genauer angeschaut und sie mit den Anweisungen im ersten Thessalonicher-Brief verglichen. Es gibt ein paar Unterschiede, aber im Kern sind sie gleich; da stehen Mahnungen wie: »Haltet Frieden untereinander!« »Seid wachsam!« »Lasst alles in Liebe geschehen!« »Haltet euch vom Bösen fern und am Guten fest!« »Freut euch!« Und natürlich: »Hört nicht auf zu beten!«
Als ich die Jahreslosung* zum ersten Mal las, dachte ich: Hm, es wäre noch hilfreicher, wenn Paulus ?das Gute« konkret beschrieben hätte! Aber vielleicht ist es gut, dass er das nicht gemacht hat. Denn »das Gute« kann zu jeder Zeit, in jeder Gesellschaft und Kultur verschieden aussehen. Wir müssen jeweils tagesaktuell herausfinden, was gut ist, und zwar miteinander. Übrigens: Das Neue Testament wurde in griechischer Sprache geschrieben, und das griechische Wort für prüfen« bedeutet natrlich »untersuchen« und »erforschen«. Aber zur Zeit des Paulus wurde es auch bei Wahlen verwendet, also: Welche Person ist tauglich für diese besondere Aufgabe?
Beides zusammen – die Tauglichkeit und der Blick auf den Kern der Mahnungen im Neuen Testament – hilft mir beim ?Prüfen« heute: Reden wir fair und respektvoll miteinander? Welche Worte stiften Frieden in Beziehungen? Was bewirkt Freude? Und: geht das auch mit Augenzwinkern und Tiefgang? Und unsere Stellungnahme darf ruhig über die Länge eines Posts hinausgehen? -:).
Was mich betrifft: Diese Fragen können im neuen Jahr Teil meines Morgengebets werden. Was die Gesellschaft betrifft: An welchen Stellen muss ich klar und deutlich widersprechen? Mir Beleidigungen verbitten, gerade wenn sie mich selbst nicht direkt betreffen, etwa in der S-Bahn und in Warteschlangen. Das kostet manchmal schon Mut. Vielleicht werden solche klaren »Prüfungen« für mich im Jahr 2025 genauso selbstverständlich, wie ich Handschuhe anziehe, wenn's kalt ist.
HIER in mein Lied »Prüft alles!« hinein hören. Enjoy.
Die Jahreslosung lautet: »Prüft alles und behaltet das Gute!« Nachzulesen in der Bibel, 1.Thessalonicher-Brief, Kapitel 5 Vers 21
* Für jedes Jahr wählt die Ökumenische Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen (ÖAB) einen Spruch aus der Bibel als so genannte Jahreslosung aus. Die Jahreslosung gibt es drei Jahre im Voraus. In fnf Jahren feiert die Jahreslosung ihr hundertstes Jubiläum. (Quelle: Wikipedia)
GRAFIK der Jahreslosung: Dorothe Krämer, Essingen; mit freundlicher Genehmigung
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